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Kreuzfahrt News - Schifffahrtsnachrichten

Unter weißen Segeln: Dauerspagat zwischen Individualität, Klimaschutz und Massenkonsum

c: Marine

Individualreisen haben Hochkonjunktur.

Denn das Individuum genießt in unserer modernen Gesellschaft einen hohen Stellenwert, und wer will schließlich nicht auch auf See individuell unterwegs sein? Vor allem in Zeiten, in denen Kreuzfahrer aller Herren Länder viel Kritik einstecken müssen und verunsichert sind, ob sie mit den interkulturellen Erfahrungen, die sie auf Schiff und an Land machen, der Welt zum Besseren verhelfen oder mit den Tonnen von Abgasen, die die schwimmenden »Plattenbauten« auf den Weltmeeren in die Luft donnern, nicht eher ihren Untergang beschleunigen, finden immer mehr Menschen eine einfache Lösung: Sie gehen segeln. Im Segeln verbinden sich nämlich zwei zentrale Werte der modernen Welt: Individualität und Klimaschutz. Doch ist das Segeln als Alternative zu herkömmlichen Massenkreuzfahrten wirklich die ideale Lösung?

Die Entstehung des Reisens als Freizeitaktivität

Das Segeln hat in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition. Christoph Kolumbus oder Marco Polo segelten durch die Gewässer dieses Planeten und entdeckten neue Welten und neu Wege - und manchmal auch Wege, die sie in die Irre führten. Doch niemand wäre damals auf die Idee gekommen, zu segeln, weil es einfach Spaß macht.

Niemand hätte die Gefahren, die auf Hochsee lauern, auf sich genommen, nur, um sich ein wenig zu vergnügen und von den Strapazen des Alltags zu erholen. Viel eher wäre man kurzerhand für geisteskrank erklärt und in den Kerker geworfen worden.

Wie kam es also, dass Menschen anfingen, gänzlich zwecklos und aus reinem Vergnügen an der Sache durch die Meere und Ozeane dieser Welt zu schippern? Dies hängt im Wesentlichen mit der Entstehung und dem unvergleichlichen Siegeszug des Industriekapitalismus in den sogenannten westlichen Ländern zusammen.

Mit der Trennung von Produktionsmitteln von deren ursprünglichen Produzenten wurden Millionen von Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den auf diese Weise neu geschaffenen Arbeitsmarkt gedrängt. Fortan konnte der durchschnittliche Bürger kaum mehr selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen, konnte nicht länger autark sein; er musste stattdessen in die Fabrik oder in den Betrieb arbeiten gehen.

Die Erwerbsarbeit wurde zum Mittelpunkt des Lebens. Wer etwas auf sich hielt, wer Anerkennung und den vermeintlich durch individuelle Leistung möglichen sozialen Aufstieg wollte, musste knechten gehen - Tag ein, Tag aus. Arbeit und Freizeit wurden so zu zwei verschiedenen Sphären des Handelns und Lebens, wobei die Freizeit zunächst noch ungleich kleiner bemessen war und nur der Wiederherstellung der Arbeitskraft diente.

Im Laufe der Zeit wurden die Arbeitsbedingungen jedoch besser und die Freizeit immer größer. Der Achtstundentag wurde vielerorts eingeführt; man erkämpfte Tarifverträge, Ansprüche auf bezahlten Urlaub und hier und dort auch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld. So kam bei immer mehr Menschen der westlichen Welt die Frage auf, was sie denn mit ihrer neugewonnenen Freizeit nun überhaupt tun sollen.

Die einen fingen an, Briefmarken zu sammeln; andere schauten Fern oder trieben Sport; und wiederum andere, besonders abenteuerlustig aufgelegte Zeitgenossen, gingen plötzlich auf Festivals, traten für freie Liebe und Selbstverwirklichung ein; und dann kauften sie sich bunte VW-Busse oder schicke Wohnwagen (wenn es nicht bereits ihre Eltern getan hatten) und fingen an, jedes Jahr aufs Neue in den sogenannten Urlaub zu fahren.

Und später flogen sie nur noch. Heute sprechen wir vom »Individualurlaub«; man geht wandern in den Bergen oder kauft sich ein Luxus Wohnmobil, mit dem man sein ebenfalls luxuriöses zu Hause einfach mitnehmen kann und insofern selbst beim Campen auf nichts verzichten muss.

Segeln die ideale Alternative zu Massenkreuzfahrten?

Wie das mit Werten und Normen oftmals so ist - sie verkehren sich gerne mal in ihr Gegenteil, sobald sie unter ganz bestimmten Bedingungen zur Geltung gelangen. Die Bedingungen sind in unserem Fall das kapitalistische System und die Werte sind, wie anfangs angesprochen, Individualität und Klimaschutz.

Wir können zunächst davon ausgehen, dass Segeln in der Tat eine Reihe an wichtigen Verbesserungen mit sich bringt:

Es ist relativ klimafreundlich, sofern wirklich gesegelt und der Hilfsmotor nicht zu oft angeworfen wird, es ermöglicht eine echte Naturerfahrung und es stiftet Individualität, sofern man es sich zu eigen und damit zum Teil seiner Identität macht.

Das alles kann der Fall sein. Der Fall kann aber auch gänzlich umgekehrt aussehen: Wenn das Segeln zur Massenattraktion wird, die Menschen dazu von weit her angeflogen oder angefahren kommen, keine wirklichen Naturerfahrungen machen, weil ihnen alles abgenommen wird, dann kann von Klimafreundlichkeit und Individualität keine Rede mehr sein; dann haben sich die ursprünglichen Ideen und Absichten in ihr Gegenteil verkehrt.

Fazit muss also wie folgt lauten:

Das Segeln ist nicht per se eine klimafreundliche und besonders individuelle Alternative zu Massenkreuzfahrten. Sie kann es sein, aber nur, solange sie nicht von der Welle des Massentourismus erfasst und auf den Meeresgrund der gescheiterten guten Absichten der Menschheitsgeschichte gezogen wird. 

Windjammer...